Hallo, ich bin Christina!
Foto: Steffy Sawatzky
Ich bin 26 Jahre alt und fotografiere schon seit knapp 16 Jahren.
Das Faszinierende an der Fotografie für mich ist weniger ihr technischer Aspekt - damit beschäftige ich mich nur, wenn ich es muss :-) - sondern vielmehr ihre Kraft Erinnerungen, Beziehungsdynamiken und Lebensumstände festzuhalten.
Ich liebe es mit meiner Kamera “die Zeit zu stoppen” und das Auge des Betrachters auf etwas zu lenken, was sonst vielleicht keine Beachtung bekommen hätte.
Über mein Leben
Ich könnte es bei einer oberflächlichen Vorstellungsseite belassen, die sich auf mein fotografisches Interesse beschränkt. Vielleicht Einblick in weitere meiner Hobbies geben, um von einem scheinbar erfüllten und glücklichen Leben zu berichten, wie es im Internet und auf Social Media üblich ist.
Aber ich finde im Kontext meiner Lebensgeschichte steht meine Fotografie in einem anderen Licht. Ich sehe die schönen Dinge in meiner Umgebung obwohl ich in meinem Leben großes Leid trage. Es ist mir ein Herzensanliegen mit meiner psychischen Erkrankung offen umzugehen, denn nur so lassen sich die Stigmatisierung durchbrechen und die Diskriminierung bekämpfen. Das ist meine Geschichte.
Meine Kindheit
Ich wurde am 24.02.1997 als Frühchen in Bonn geboren. 2 1/2 Monate zu früh - meines Erachtens nach die erste traumatische Erfahrung meines Lebens. Meine ersten Lebenstage war ich von meiner Mutter getrennt, denn diese bekam Fieber und ich war auf einen Brutkasten angewiesen. Ich vermute meine Mutter litt nach der Schwangerschaft mit mir an Depressionen, weshalb sie keine enge Bindung zu mir aufbaute. An meinen Vater habe ich kaum Erinnerungen. Er war ein abwesender Erwachsener.
1999 in meinem Elternhaus
Meine gesamte Kindheit war geprägt durch Vernachlässigung, die sich durch Verwahrlosung, Hunger (Unterernährung) und emotionale Isolation äußerte. Aber auch Gewalt stand an der Tagesordnung - vor allem physische Gewalt durch Schläge, aber auch emotionale Gewalt, deren Tiefe schwer zu beschreiben ist. Beleidigungen, Drohungen, mangelnde Unterstützung, fehlende Akzeptanz, überfordernde Erwartungshaltungen und das Überlassen von nicht altersgerechten Verantwortungen.
Meine Eltern
Zwischen meinen Eltern gab es vermutlich häusliche Gewalt. Mein Vater (*1938, †2021) war Nachkriegskind, erlebte Hunger und Flucht. Meine Mutter (*1959) kommt aus einer Familie mit häuslicher Gewalt und Alkoholsucht.
Ich werde nie verstehen, wie man selbst erlebtes Leid unbehandelt einfach an (eigene hilflose und abhängige Kinder) weiterreichen kann. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass es zur Heilung Raum zum Bewusstsein und Ressourcen benötigt.
Meine Mutter erinnere ich als Haupttäterin gegen meine Geschwister und mich. An meinen Vater habe ich kaum greifbare Erinnerungen, was vielleicht auch daran liegt, dass er seit 2009 größtenteils aus meinem Leben verschwand. Gegen ihn lag ein richterlicher Beschluss zum Auszug vor, dessen Begründung ich bis heute nicht kenne.
Meine Jugend
Ich bin die Zweitälteste von 4 Geschwistern. Meine große Schwester und einer meiner kleinen Brüder flohen 2011 im Alter von 17 und 11 Jahren von Zuhause. Mein anderer Bruder (14) und ich (15) verbrachten 2012 knapp drei Monate in einer Pflegefamilie. Er blieb dort und ich kehrte wegen meines Gefühls der Verantwortung die “Familie” erhalten zu müssen nach Hause zurück.
Am 15. Mai 2013 im Alter von 16 Jahren wurde ich durch Sozialarbeiter vor die Entscheidung gestellt sofort in eine Wohngruppe (Kinderheim) auszuziehen bevor ich einige Tage später durch das Jugendamt auch gegen meinen Willen von Zuhause raus geholt worden wäre. Ich entschied mich für den letzten freien Platz in der Wohngruppe in der Stadt, in der sich auch meine damalige Schule befand.
2007 - 5. Klasse
Ich wechselte nach der Grundschule im Schnitt alle zwei Jahre die Schule und wiederholte aufgrund der Streitigkeiten meiner Eltern 2008 das erste Mal ein Schuljahr. 2014 schloss ich als eine der besten Schüler/innen der Realschule Altenkirchen die Sekundarstufe I ab.
Leaving Care - die Zeit nach der Wohngruppe
Ab dem 01. November 2014 im Alter von 17 Jahren lebte ich als Careleaver/in in meiner eigenen Wohnung und besuchte die Oberstufe des Gymnasiums Marienstatt. Dort wiederholte ich nach dem Verlust von Unterstützung nach meinem Auszug aus der Wohngruppe sowie einer starken depressiven Phase, durch die ich einige Monate des Unterrichts verpasste, die 11. Klasse.
Die Wohngruppe und die Jugendhilfe zu verlassen bedeutete für mich zum wiederholten Male der Verlust meines sozialen Netzwerks. In der Erwartung meiner Verselbstständigung erfuhr ich kaum Unterstützung im Lernprozess was es bedeutet einen eigenen Haushalt zu führen. Psychisch durchstand ich diese Zeit nur durch Verdrängung meiner Vergangenheit und im Fokus mir durch meine guten schulischen Leistungen eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass Mobbing mich durch meine gesamte Schulzeit begleitete. Ich finde es eine Schande, dass Kinder, die durch Armut, eigene Krankheit oder Krankheit (Sucht) von Familienangehörigen, Vernachlässigung oder Gewalt in der Familie ohnehin benachteiligt sind, oft obendrein in der Schule keinen sicheren Ort für ihre Entwicklung, zum Austausch, Kundtun ihrer Nöte und zum Ausbau eines sicheren und gesunden sozialen Netzwerks finden. Es braucht Aufklärung über soziale Ungerechtigkeit an Schulen und Aktivismus gegen Mobbing!
Anfang 2014 - einer meiner letzten Besuche bei meiner Mutter
2016 wurde ich durch einen schweren Sportunfall, bei dem ich mir meinen rechten Fuß zertrümmerte, über ein halbes Jahr gehandicapt. Eigentlich hätte ich wegen der Schwere meiner Verletzung eine Not-Operation gebraucht. Aufgrund von falschen Diagnosen bekam ich diese nicht! Zwischenzeitlich war nicht klar, ob ich wieder laufen können würde. Alleine den Haushalt zu meistern und zu diversen (Fach-)Arztbesuchen zu müssen und gleichzeitig ohne familiäre Unterstützung in die Oberstufe zu gehen wurde in diesem Jahr zu einer meiner größten Herausforderungen.
Meine Erkrankung
Im Oktober 2017 veränderte sich mein Leben nachhaltig und leider bis in die Gegenwart, denn während der Vorabi-Klausurenphase erkrankte ich an der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung (k-PTBS). Ganz grob erklärt ist das eine extreme Stressreaktion des Körpers und der Psyche auf schwere, lang anhaltende und/ oder wiederholte Traumatisierungen (wie bspw. die von mir geschilderten Kindesmisshandlungen und Vernachlässigung).
2017 - eine Woche bevor die ersten PTBS-Symptome mich überfluteten
Die Symptome der k-PTBS reichen vom Wiedererleben (durch bspw. Albträume und Flashbacks), Vermeidung von Orten und Menschen, die Erinnerungen wieder hervorholen könnten (bspw. Dissoziationen, das sind Bewusstseins- und Wahrnehmungsstörungen in diversen Formen, und Gedächtnisverlust), einer übermäßigen Wachsamkeit (in Erwartung von Gefahr) und darin begründeter Über- und Untererregung (extreme Anspannung und/ oder Erschöpfung) über Veränderungen in der Affektregulation (bspw. Schwierigkeiten Emotionen zu regulieren, Suizidalität), einem konstant negativem Selbstbild (Selbstwertgefühl) bis hin zu Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen (Schwierigkeiten Vertrauen aufzubauen, mangelndes Zugehörigkeitsgefühl, Risiko der Reviktimisierung, also wieder Opfer von Misshandlung zu werden).
Am Anfang meiner Erkrankung erlebte ich Symptome wie extreme Dissoziationszustände mit komplettem Verlust von Raum- und Zeitverständnis sowie ein anhaltendes Ohnmachtsgefühl wie ich sie jetzt nicht mehr bzw. nicht mehr in dem Ausmaß erlebe. Die meisten Symptome treten jedoch wiederkehrend auf. Eine zunehmende Anzahl an Belastungssituationen im Alltag hat in der Regel direkte Auswirkungen auf meine Gesundheit.
Mein Weg zur Therapie
Leider erkannten meine Hausärzte meine Traumasymptome nicht als solche, was meinen Weg bis zur Diagnose und bis zum Therapiebeginn schwierig gestaltete. Von Lehrern wurde mir das Lügen und Faulheit vorgeworfen während ich mich mit Symptomen durch die letzten Schulmonate und Klausuren plagte. Im März 2018 bestand ich dennoch mein Abitur!
Danach folgten die chaotischsten Monate meines Lebens. Auf der Suche nach Hilfe und durch den Strukturverlust durch mein Schulende, rutschte ich im Sommer 2018 in die Obdachlosigkeit ab, die durch wieder erstarkte Depressionen geprägt wurde. Erst nach einer radiologischen und neurologischen Untersuchung wurde meine komplexe Traumatisierung beim Namen genannt, aber durch meine Hilf- und Perspektivlosigkeit war ich noch nicht bereit eine Diagnose zu akzeptieren.
Tragischerweise erlebte ich auf mehreren Stationen, auf denen mir erst Hilfe angeboten wurde, weitere Rückschläge. Darunter sexuellen, emotionalen und geistlichen Missbrauch in einer christlichen Wohngemeinschaft, in die ich aus der Obdachlosigkeit aufgenommen wurde. Von dort aus floh ich Ende Februar 2019 regelrecht für drei Monate zu Bekannten nach Burkina Faso, die ich 2016 auf einer kurzen Reise in das kleine westafrikanische Land kennengelernt hatte. Auf dieser Reise las ich Boundaries (auf deutsch: Nein sagen ohne Schuldgefühle) von Dr. Henry Cloud und Dr. John Townsend, ein Buch das u.a. über die menschliche Persönlichkeitsentwicklung und verschiedene Beziehungsdynamiken aufklärt, die aus erlernten Mustern und ggf. unerfüllten Bedürfnissen entstehen. Hier verstand ich die Schicksale meiner Vergangenheit in einem anderen Licht und begann meine Traumatisierung zu akzeptieren.
Nach meiner Rückkehr und wieder am Abgrund zur Obdachlosigkeit zog ich im Juni 2019 zu einer Familie nach Bayern. Dort erlebte ich leider wieder emotionalen und geistlichen Missbrauch und fürchtete auch um mein körperliches Wohl, nachdem mir das Essen verboten wurde und ich zum wiederholten Male vor dem Familienvater in mein Zimmer geflüchtet war und gerade so den Schlüssel im Schloss umdrehen konnte.
Am Morgen des 31. Oktober 2019 tätigte ich einen lebensverändernden Telefonanruf. In der damaligen Schutzwohnung von Projekt Schattentöchter, einem gemeinnützigen Verein, der sich gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution stellt, fand ich Zuflucht und Sicherheit! Eine meiner mittlerweile besten Freundinnen ist die Gründerin des Vereins - sie hatte ich an dem Tag angerufen und um Hilfe gebeten.
Kurz nach meinem Einzug dort begann ich meine erste ambulante Traumatherapie (November 2019 bis August 2021). Seitdem nahm ich verschiedene Therapieangebote in Anspruch, stationär für jeweils sechs Wochen (2021, 2023), halbstationär ebenso für sechs Wochen (2022) und eine weitere ambulante Traumatherapie von Dezember 2021 bis August 2023). Erst vor kurzem kehrte ich zu meiner ersten Therapeutin zurück.
Dezember 2020 -Selbstportrait
Mein neues Leben
Nun lebe ich schon seit Mai 2020 wieder in meiner eigenen Wohnung in Dierdorf. Hier habe ich neue, heilsame Freundschaften geschlossen, die mich auf meinem Weg bestärken! Mit meinen Freunden gehe ich gerne spazieren, spiele Karten- und Gemeinschaftsspiele oder Basketball, aber auch Videospiele wie Minecraft faszinieren mich! Mein “Netflix & Chill” sind Twitch-Streams, Tatorte und Fußballspiele der Männer und Frauen.
Mein Alltag ist leider sehr geprägt durch meine Erkrankungen, die mich faktisch “arbeitsunfähig” machen (was auf bürokratendeutsch so viel bedeutet wie “unter 3 Stunden täglich arbeitsfähig”). Ich lebe mit einer Trauer über nie Dagewesenes. Die meisten meiner Morgen sind geprägt von Depressionen, die mir den Antrieb und den Sinn rauben und/ oder von den Traumasymptomen der Nacht (Ein- und Durchschlafstörungen sowie Albträumen und Dissoziationszuständen). In guten Phasen finde ich im Laufe des Tages mehr Antrieb und Sinn - wahrscheinlich auch einfach eine logische Konsequenz, wenn man die Realität meiner Tagesanfänge betrachtet. Ich tendiere dazu nachmittags und abends produktiver zu sein.
Seit diesem Jahr habe ich eine abgespeckte Form des Meal Preppings (Mahlzeiten im Voraus für ein paar Tage vorzubereiten) für mich entdeckt. Aufgrund meiner Erfahrungen “rund um den Esstisch” sind Mahlzeiten für mich begleitet von Symptomen wie extremer Anspannung, Übelkeit, mangelndem oder plötzlich schwindendem Appetit, aber leider auch einem Ohnmachtsgefühl beim Feststellen des Hungers. Es ist ganz schön anstrengend dieses innere Chaos zu navigieren! Mit mehr Tagesstruktur funktioniert es in der Regel besser (kurze Erinnerung: in meiner Familie gab es keine feste Struktur, ich lerne gerade quasi ein ganz anderes Leben kennen)!
Ich glaube, nur wer gut gegessen hat kann konzentriert und zielstrebig arbeiten.
Herbst 2021 in Brückrachdorf - erster Ausflug mit meinem zweiten Objektiv
Die Idee mein Hobby zum Beruf zu machen trage ich schon seit spätestens nach dem Abitur in meinem Herzen. 2019 studierte ich einen Monat zur Probe fern. 2021 dachte ich noch, das sei ein Ding der Unmöglichkeit! 2022 folgte dann die Gründung meines Kleinunternehmens Made To Relate! :-)
“Made To Relate” das bedeutet soviel wie “für Beziehungen geschaffen”. Der Name ist für mich nicht nur eine Proklamation über mein eigenes Leben, das so viele zutiefst kaputte Beziehungen kennt, sondern auch ein Ausruf in die Welt: Wir sind dazu gemacht in Beziehung zu treten, es liegt in unserer Natur! Zwischenmenschlich, zwischen Mensch und Tier und Natur in dem, dass wir miteinander er-leben und wahrnehmen.
Meine Bilder sollen Geschichten davon erzählen, aufmerksam machen!
Denn “die Schönheit liegt im Auge des Betrachters” (Zitat vom Historiker Thukydides, um 455-396 v. Chr.).